Als Loge im Orden des Independent Order of Odd Fellows I.O.O.F., einem sozialen Netzwerk mit über 250 Jahre Tradition, strebt die Erasmus-Loge danach, durch ethisches und humanistisches Handeln die Welt zu verbessern.
Sie fördert die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Mitglieder und legt großen Wert auf die Pflege der Freundschaft. Die Gründung dieser neuen, gemischten Loge in Zürich am 20. Juni 2024 unterstreicht das kontinuierliche Wachstum und die Relevanz der Odd Fellows in der modernen Gesellschaft.
Mit der Gründung der Erasmus-Loge Nr. 39 setzen die Odd Fellows in Zürich auch ein Zeichen für ihr anhaltendes Engagement für gesellschaftlichen Fortschritt und menschliche Werte in einer sich ständig wandelnden Welt.
Wir würden uns freuen, wenn Sie Teil unserer Bewegung werden möchten.
In F.L.W.
Guido Margaroli
Obermeister
Desiderius Erasmus von Rotterdam (1467? bis 1536) verliess diese Welt vor 489 Jahren. Er wurde, je nach zugeschriebenem Geburtsjahr, zwischen 67 und 72 Jahre alt. Was hat dieser aktive, hochbegabte und vielgereiste Mann, der im ausgehenden Mittelalter gelebt hat, uns Heutigen noch zu sagen? Ich denke, dass unsere titulierte Frage berechtigt ist, denn unsere Loge trüge nicht den Namen Erasmus, wenn sie sich davon nichts verspräche.
Stefan Zweig (1881-1942) beschreibt in seinem 1935 publizierten Werk «Erasmus von Rotterdam» den Niederländer wie folgt: »Erasmus ist unter allen Schreibenden und Schaffenden des Abendlandes der erste bewusste Europäer gewesen, der erste streitbare Friedensfreund, der beredtste Anwalt des humanistischen, des welt- und geistesfreundlichen Ideals.»
Die Erasmusforscherin Christine Christ-von Wedel (*1948) schreibt in ihrem 2016 veröffentlichten Buch «Erasmus von Rotterdam-Ein Porträt»: «Auch wenn Erasmus ausser von Spezialisten nur noch in Übersetzungen und Anthologien gelesen wird oder auch nur einzelne Zitate bekannt sind, seine Ideen leben weiter und regen immer wieder an zu freiem, vorurteilslosem Denken und zu zukunftsträchtigen
Reformen.»
Der belgische Historiker Léon-Ernest Halkin (1906-1998) hat 1987 eine wegweisende Erasmus-Biographie geschrieben mit dem Originaltitel: «Erasme parmi
nous» und dabei die Frage gestellt, warum Erasmus heute wenig gelesen wird.
Halkin sieht den Hauptgrund darin, dass Erasmus alle seine Bücher und Schriften in der damaligen Lingua franka, dem Latein verfasst hat. In einer Sprache also, der in unserer Zeit der Geruch von alten Folianten geradezu anhaftet und die natürlich nicht allen zugänglich ist.
Das hat dazu geführt, dass Erasmus zwar eine berühmte Persönlichkeit ist, dass aber seine Werke heute von Wenigen gelesen werden. Bei dieser Ausgangslage ist es dem Leser seiner Werke anheimgestellt, mit dem grossen Humanisten in den Dialog zu treten, denn er hat uns viel zu sagen und wir können viel von ihm lernen.
Als die Gottfried-Keller-Loge in die Reihe der aufgelösten Loge wechselte, war mir klar, dass ich eine neue Loge gründen wollte. Mit Bruder Guido Margaroli fand ich einen starken und erfahrenen Weggefährten und die Erasmus-Loge wurde Wirklichkeit.
Erasmus, der Mann der Bücher, der Worte und der friedlichen Reformen, hat eine Botschaft, die über Jahrhunderte hinweg Bedeutung behält. Seine Auffassung, dass Bildung und Ethik die Grundlage für eine gerechtere Gesellschaft bilden, scheint heute aktueller denn je. Erasmus war überzeugt, dass die Menschheit durch Dialog und Vernunft, anstelle von Konflikt und Gewalt, zu wahrem Fortschritt gelangen kann. Seine Vision von einer humaneren Welt, in der Weisheit und Toleranz die Eckpfeiler des Zusammenlebens sind, ist ein Gut, das nicht an Bedeutung verliert.
Vielleicht ist es gerade die schlichte und doch kraftvolle Natur seiner Ideen, die uns als Nachwelt dazu zwingt, innezuhalten und über die Essenz seiner Werte nachzudenken. Eine Hilfe dazu bietet m.E. die Inschrift auf dem Grabstein des Erasmus im Basler Münster, denn sie ist eine zeitgenössische Würdigung des Niederländers.
In Florenz erschien zur gleichen Zeit, in der Erasmus starb, eines der interessantesten Bücher seiner Zeit: «Il Principe» vom florentinischen Philosophen und Staatsmann Niccolo` di Bernardo dei Machiavelli (1469-1527).
Das Buch erläutert in rücksichtsloser Klarheit das Vorgehen von aufgeklärten Regenten und begründet den «Machiavellismus», der bis heute ein Begriff für gekonnte und zielbewusste Machtentfaltung ist. Der Machiavellist konzentriert sich auch heute auf die Maximierung des Eigennutzes und des persönlichen Gewinns. Er umgibt sich mit fähigen Leuten und beauftragt sie mit der Umsetzung von Vorhaben, deren Grundstruktur vom Machiavellisten stammt.
Damit sind bis heute zwei Formen der Weltpolitik im Geiste geboren. Für Erasmus gehört die Politik in die Kategorie der Ethik und er sieht sich von Aristoteles (384 -322.v.Chr.) und von Thomas von Aquin (gestorben 1274) gestützt.
Niccolo’ Machiavelli (1469-1527) vertritt in seinem Werk die Meinung, dass nicht das Miteinander, sondern das Gegeneinander, die letzten Energien aus den Völkern mobilisiert. Nicht vergessen wollen wir die Theorie des deutschen Philosophen Karl Marx (1818-1883), der weltweit viele Adepten gefunden hat und die dritte Form von Weltpolitik begründete, die auf einer philosophischen Idee beruht.
Im realen Raum der Geschichte ist es denn auch das Gegeneinander, dass Leidenschaft und Energien in den Völkern Europas zum Tragen bringt und nicht der grosse humanistische Traum von Erasmus.
Stefan Zweig weist jedoch darauf hin, dass in der geistigen Welt alle Gegensätze Raum haben und gerade unerfüllte Ideen erweisen sich als die unüberwindbarsten. Denn eine Idee, die nicht in Erscheinung tritt, ist darum weder besiegt noch als falsch erwiesen, sie ist eine Notwendigkeit.
Was Erasmus als Vermächtnis hinterliess, war nichts anderes als der erneuerte, aber uralte Wunschtraum aller Religionen und Mythen von einer kommenden und unaufhaltsamen Vermenschlichung der Menschheit und von einem Triumph der klaren und gerechten Vernunft über die eigensüchtigen und vergänglichen Leidenschaften.
Erasmus und Machiavelli sind im Wesentlichen Zeitgenossen und in Europa zu Hause und doch vertreten sie eine Vorstellung der Zukunft, die konträrer nicht sein könnte.
Das Werk «Vertrauliche Gespräche» hat Erasmus zwischen 1518 und 1533 verfasst. Es handelt es sich um siebzig Gespräche zwischen zwei Personen über Fragen der Lebensführung in einer an Christus ausgerichteten Lebensgestaltung. Das Gespräch «Die Soldatenbeichte» zum Beispiel, behandelt das Ausufern des Krieges in den Alltag, der dadurch von vermehrter Gewalt zwischen den Menschen geprägt wird. Das Gespräch »Schmutziger Reichtum» zwischen den beiden Freunden Jakob und Gilbert behandelt den Geiz und die Grosszügigkeit im Finanziellen. Das Gespräch «Die Morgenstunde» zwischen Nephalius und Philypnus thematisiert die Frage, ob die Morgenstunde der kostbarste Teil des Tages sei oder ob Phyilypnus recht hat, wenn er den Schlaf nach Sonnenaufgang lobt.
Erasmus war aus heutiger Sicht ein kosmopolitischer Vordenker, denn er lebte und arbeitete in England, Frankreich, Italien, Deutschland und in der Schweiz. Er war ein ausgesprochen toleranter Mensch, der immer wieder zum Frieden mahnte und dazu das Bonmot prägte, dass «der elendste Friede dem glorreichsten Krieg vorzuziehen sei:»
Er war der Meinung, dass man die Kirche erneuern kann, ohne sie zu spalten. Damit vertrat er eine Auffassung, die Europa viel Blutvergiessen und menschliches Elend erspart hätte.
Ich schliesse meine Ausführungen und zitiere einige heutige Theologen und eine Historikerin, die sich u.a. mit Erasmus befassen: Susanna Burghartz, Historikerin an der Universität Basel über Erasmus: «Es wäre schön, wenn dieses enorme Sprachbewusstsein, das Erasmus hatte, in der modernen Ausbildung von Studierenden mit mehr Lust wieder genutzt werden könnte.»
Nikolaus Schneider, evangelischer Theologe und ehemaliger Vorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschlands: «Es ist ja ein ganz aktuelles Thema, was Bildung für unsere Gesellschaft bedeutet und wie wir sie in unserer Gesellschaft weiterentwickeln, und Erasmus war der Meinung, dass die christliche Gesellschaft durch Bildung zu einer wirklich humanen, humanistischen Gesellschaft geformt werden kann und werden muss.»
Edward Fröhling, katholischer Theologe und Dozent an der deutschen Universität von Vallendar im Bundesland Rheinland-Pfalz: »Erasmus wirkt fort als Reformator der Kirche. Viele seiner Themen, das müssen wir uns als Katholiken eingestehen, sind bis heute nicht eingelöst. Und in dem Sinne sind die Schriften von Erasmus für uns heute noch immer herausfordernde Reformationsschriften!»
Die Erasmus-Loge will sich stets an ihren Namenspatron erinnern und dabei versuchen ihm geistig und in der Tatkraft zu entsprechen.
Fabio Dal Molin; 19.06.2025